Handstand begegnet Faust

eine Bearbeitung von Goethes "Faust" in Gebärdensprache und Lautsprache

Basisentscheidungen

Folgende Grundentscheidungen sind die Basis für das neue Stück: Weiterentwicklung von Ideen und Techniken aus dem "Sommernachtstraum", Erfindungen, die im ersten Stück noch nicht zum Tragen gekommen sind, Anregungen und Wünsche von "HandStändlerInnen" und Zuschauern, die wir in der kritischen Diskussion um unsere Aufführungen herum wahrgenommen haben, Fortführung von der grundlegenden Arbeitsweise, das Stück in der Improvisation mit der Gruppe als zweisprachiges Theaterstück zu entwickeln.

Thema

Eine weitere Basisentscheidung ist Folgende: Wir wollen einen in der Theaterwelt bekannten "Stoff" für eine in jeder Beziehung sehr gemischten Theatergruppe und ein ebenso gemischtes Publikum zugänglich machen.
"Andere Welten" auf der Bühne ins Spiel zu bringen, interessiert uns und regt unsere Erfindungsfreude an.
So wagen wir uns an "Faust 1" von Goethe. Eine Herausforderung? Gut!
Ein zentraler Satz von Faust ist: "...dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält!" Das ist unser aller Lebensfrage! Sehen, hören, lesen, sich informieren, fühlen, spüren, konsumieren, glauben...was macht uns glücklich oder wenigstens zufrieden? Vielleicht ist diese Frage noch dringlicher, wenn ich in einem "Sinn" eingeschränkt bin oder er mir gar nicht zur Verfügung steht!? Was bringt uns in "Einklang", ja mit was eigentlich?

Die Erarbeitung

Wir haben mit Themenwochenenden begonnen, damit die "HandStändler" und "HandStändlerinnen" mit dem vertraut werden, was auf sie zukommt:

  • Bücher als Requisit und Leseherausforderung.
  • Frage nach Kenntnissen über Goethe und "Faust"
  • Hexen und ihre Künste
  • Assoziationen zu Geistern
  • Die Geschichte von Faust, Mephisto und Gretchen
  • Erste Textgestaltungen
  • Einführung in die Rollen
  • Basisprinzipien einer möglichen Inszenierung

Begegnung mit anderen Theatertraditionen

Wir haben mit einer indischen Tänzerin, Sangheeta, zusammengearbeitet. Die "Mudras" (Handhaltungen im indischen Tanz) und wie damit Texte gestaltet werden, hat verblüffende Ähnlichkeit mit der Gebärdensprache. Es ist für die Gebärdensprachler ein großer Anreiz mit einer Theatersprache dieser Art konfrontiert zu werden und sich anregen zu lassen, diese ganzkörperliche Ausgestaltung von Gebärdentexten bis in die Füße kennenzulernen. Die Zusammenarbeit mit dem Leiter des Golem-Theaters aus Bamako in Mali/Westafrika, Momo Ekissi, wurde intensiviert.
Das afrikanische Theater und die darin enthaltene Tanzarbeit ist sehr ausdrucksstark und arbeitet mit expressiver Gestik. Die Möglichkeit, afrikanischen Tanz am eigenen Leib zu erfahren, gab weitere Impulse für unsere Arbeit.

Bearbeitung und Textkürzung

Um ein solch gewaltiges Textgebilde wie "Faust" überhaupt in den Griff zu bekommen, wurden die Szenen mit Faust und Mephisto, sowie Faust und Gretchen zugunsten der großen Gruppenszenen gekürzt. Alle Lieder von Gretchen wurden beibehalten. Die Szenen mit Wagner und dem Studenten, sowie das Vorspiel wurden gestrichen. Die Ereignisse: Klatsch und Tratsch am Dorfbrunnen, der Tod der Mutter, der Mord an Gretchens Bruder, Gretchens Schwangerschaft und Kindsmord werden in einer "Moritat" an zentraler Stelle über Bilder und einen Moritatenerzähler transportiert.
Die Inszenierung sorgt dafür, dass alle "HandStändler" und "HandStändlerinnen" je nach ihren zeitlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten ihren angemessenen Platz im Theaterstück finden konnten.

Goethe in Gebärdensprache

Goethe in Gebärdensprache zu übertragen ist eine unglaubliche Herausforderung. Wir haben es mit der deutschen Sprache des 18. Jahrhunderts zu tun und eben mit Goethe, dessen Sprache vor allem ein fantastisches Klangerlebnis ist. Die Texte sind auch inhaltlich großartige Kreationen von poetischen Sprachbildern. Um einen Text zu übersetzen, muss man den Text "verstehen", das ist für alle in der Gruppe Schwerstarbeit. Warum? Wir glauben schnell, wir wüssten, was da steht. Aber wenn man genau sagen soll, was das bedeutet, fängt man an zu "schwitzen". Oft fehlt der philosophische und religiöse Hintergrund, den man zum "Verstehen" braucht. Hat man sich dann eine Bedeutung errungen, muss diese in Gebärdensprache erklärt werden und die Texte dann in diese übertragen werden.
Es ist eine oft mühsame und unendlich viel Geduld erfordernde Arbeit unserer "Gebärdensprachler und Gebärdensprachlerinnen", aber dann entstehen Gebärdenfolgen, manchmal kombiniert mit Körperdarstellung, die Entzücken auslösen und den Goethetexten auf eine andere Art gerecht werden:

Die Poesie der Gebärdensprache, die sich direkt in die Hände, die Mimik, den ganzen Körper ausdrückt. Wir hoffen, dass "Goethe uns zulächeln" würde. Aus ganz praktischen Gründen sind manche Texte noch nicht zufriedenstellend erarbeitet:

  • Zeitmangel und große Spiellust.
  • Anders als im "Sommernachtstraum" ist "Faust" durchgehend zweisprachig.
  • Das war der Wunsch von der Mehrheit der Gruppe.
  • Möchte eine hörende Person die Gebärden nur sehen, um sie besser auf sich wirken zu lassen, muss sie sich leider "die Ohren fest zuhalten"!

Musik

Alle Lieder aus "Faust 1" werden gesungen und gebärdet. Die Geige und afrikanische Perkussionsinstrumente nehmen am Geschehen auf der Bühne teil.

Kostüme

Die Kostüme sind einfach gehalten und bedienen keine bestimmte Zeit. Der Wechsel von einer Rolle in eine andere kann schnell und teilweise auf offener Bühne stattfinden. Bei der Entwicklung der Kostüme hilft uns die Kleiderkünstlerin Hannelore Judith Boy.

Bühnenbild

Da die Gruppe in den nächsten zwei bis drei Jahren viele Gastspiele auf unterschiedlichsten Bühnen machen wird, ist der Bühnenaufbau auf ein Gerüst beschränkt, das in unterschiedlicher Bedeutung einbezogen wird. Vor allem gewinnt man damit eine zweite Raumebene.

 

"Handstand begegnet Faust" - Kurzfassung zum Inhalt

Der Anfang: HandStand begegnet den Büchern.

Im Himmel: Gott und Mephisto wetten um die Seele von Dr. Faust.

Nacht: Faust beschwört den Erdgeist herbei, Kindheitserinnerungen an Engelbilder halten ihn vom Selbstmord ab.

Vor dem Tor: Faust mischt sich am Ostermorgen unter die Spaziergänger und begegnet einem Pudel.

Studierzimmer 1: Der Pudel entpuppt sich als Mephisto und bietet Faust seine Dienste an.

Studierzimmer 2: Mephisto und Faust wetten, dass Faust immer weiter ziehen wird und nie verweilen möchte.

Auerbachs Keller: Mephisto führt Faust in eine Kneipe, um ihn unter die Leute zu bringen.

Hexenküche: Faust erhält einen Hexentrank und wird wieder ein junger Mann.

Straße: Faust begegnet Gretchen zum ersten Mal.

Abend: Faust und Mephisto schleichen sich in Gretchens Stube, Gretchen singt das Lied "König von Thule".

der Nachbarin Haus: Gretchen besucht Marthe, Mephisto taucht auf.

Garten: Faust und Gretchen, Mephisto und Marthe liebäugeln miteinander.

Gretchens Stube: Gretchen sehnt sich nach Faust und singt "Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer."

Marthens Garten: Gretchen und Faust reden über Religion und über ihr Verlangen, sich ungestört treffen zu können, Faust gibt Gretchen einen "Schlaftrunk" für die Mutter, an dem diese sterben wird.

Die Moritat: ein Schausteller erzählt die Tragödie einer verführten Jungfrau, Gretchen erkennt darin ihre eigene Geschichte und erleidet die bösen Blicke der Nachbarn.

Dom: Gretchen fleht die Muttergottes um Hilfe an, böse Geister plagen ihr Gewissen.

Irrlichter: Durch das Einschreiten von Mephisto hat Faust inzwischen Gretchens Bruder getötet, die Beiden müssen flüchten und verirren sich im Wald.

Walpurgisnacht: Beim Hexentanz versucht Mephisto Fausts Erinnerung an Gretchen auszulöschen. In einer Vision erscheint sie Faust.

Kerker: Faust hat erfahren, dass Gretchen im Kerker auf ihre Hinrichtung wartet und er versucht, sie zu retten; aber Gretchen ist aus Kummer wahnsinnig geworden.

Das Ende: Nach Goethe wird Gretchen hingerichtet werden, aber Gott rettet ihre Seele.

Faust wird von Mephisto mitgezogen ... so steht es in den Büchern!